Bauplatzmangel gab es auch schon vor 100 Jahren in Weferlingen

Am Hagholz wird seit 100 Jahren gebaut-Link zur Karte

1920 gegründete Baugenossenschaft Weferlingen stellte Weichen für ein bis heute beliebtes Wohngebiet

Vor 100 Jahren wurde die Baugenossenschaft Weferlingen gegründet, die ersten Häuser in der Siedlung am Hagholz entstanden. Gebaut wurde an der heutigen Ernst-Thälmann- und Breitscheidstraße. 1938 wurde auch der Schäferberg zur Besiedelung freigegeben.

Von Marita Bullmann

Weferlingen. Die ersten Häuser im Wohngebiet am Hagholz wurden 1920 gebaut. Damals herrschte allerorten Wohnungsnotstand, in vielen Dörfern suchten Gemeindevertretungen nach Abhilfe. Hilfe für Bauwillige gab es auch von Regierungsseite.

Im Dezember 1919 waren auf Veranlassung des Magistrats von Weferlingen Vertreter der umliegenden Werke und mehrere hiesige Herren zusammen gekommen, so war es im Januar 1920 im Weferlinger Anzeiger zu lesen. Es ging darum, die Wohnungsnot zu lindern und deshalb eine Baugenossenschaft für Weferlingen und Umgebung zu gründen. Diese Genossenschaft wurde schließlich am 12. Januar 1920 aus der Taufe gehoben. Bürgermeister Becker wurde Vorsitzender des Aufsichtsrats, Adolf Arnecke stellvertretender Vorsitzender, Paul Liebert Schriftführer, Adolf Seesemann stellvertretender Schriftführer. Den Vorstand bildeten Emil Hummelsiep als Vorsitzender, Hans Podewels, Walbeck, als zweiter Vorsitzender, Fritz Collier als Schriftführer, Paul Görling als stellvertretender Schriftführer, Reinhard Rulff als Kassierer, ersterer und die drei letzteren aus Weferlingen. „Von den etwa 100 Anwesenden ließen sich 45 als Genossen (Baulustige und Förderer der Genossenschaft) eintragen“, wurde im Anzeiger berichtet.

Ende März war über die Generalversammlung zu lesen: „Die erste Grundlage zum Bauen ist geschaffen mit dem Beschluss, dass in anerkennenswerter Weise vom Landrat von Davier an Hand gegebene Ackerland von etwa 19 ½ Morgen, am Hagholz gelegen, sofort zu kaufen. Der Kauf wird demnächst abgeschlossen.“ In der Sitzung vorgelegte Zeichnungen und Kostenanschläge zeigten verschiedene Baumöglichkeiten. Dazu hieß es: „Demnach kommt 1 Einfamilienhaus mit einer Wohnung auf 34600 Mark, 1 Zweifamilienhaus von 67 – 78000 Mark zu stehen. Wenn auch Staat und Gemeinde erhebliche Zuschüsse leisten, sind für die Bauenden immer noch hohe Summen aufzubringen und die Anwesenden waren sich der Schwierigkeit der Lage bewusst.“

Diskutiert wurde über die Bauweise, Lehmbauten wurden erwogen. „Zur Verbilligung der Bauweise würde ferner die Bildung von Arbeitsgemeinschaften beitragen, d.h. dass sich 4 – 6 Mann zum Bauen zusammenschließen und mitarbeiten. Alle Anwesenden waren sich aber darin einig, dass nicht noch länger gezaudert werde, je länger man warte, desto teurer werde das Bauen“, schrieb das Blatt damals.

Überein kamen die Mitglieder der Baugenossenschaft, dass eine Abordnung nach Berlin gehen soll, um mit den zuständigen Stellen in Verhandlungen zu treten, um Holz zu erhalten. „Einstimmig war man der Meinung, dass die hiesigen Hausbesitzer sich mehr als bisher an der Baugenossenschaft beteiligen möchten, da sie das größte Interesse hätten, der Beschlagnahme von Wohnungen dadurch zu entgehen, indem sie durch Zeichnung von Anteilen die gemeinnützigen Ziele der Baugenossenschaft fördern.“

Die Änderung des „Bebauungsplans für den Südbezirk, der bekanntlich zu Siedlungszwecken verwendet werden soll“, wurde am 9. Juni 1920 in der Gemeindevertretersitzung gut geheißen. „Gemäß dem Antrage der Baugenossenschaft für Weferlingen und Umgebung auf Beteiligung wurde beschlossen, dass die Gemeinde mit 50 Anteilen zu je 200 Mark diesem gemeinnützigen Unternehmen beitritt“, meldete das Blatt.

Danach ging es offensichtlich zügig weiter. Die ersten Häuser wurden in Angriff genommen. Denn in der ordentlichen Generalversammlung der Baugenossenschaft im Februar 1921 hieß es im Bericht bereits: „An Bauten werden zum April des Jahres bezugsfertig die Häuser Beyerstedt, Karl Müller, R. Abendroth, Ernst und Otto Schmalfeld. Vier weitere Häuser sollen demnächst in Angriff genommen werden.“

Aus heutiger Sicht ist es erstaunlich, wie schnell damals mit dem Bauen begonnen werden konnte. Heute muss erst das gesamte Baugebiet geplant werden, Straßen mit Ver- und Entsorgungsleitungen müssen gebaut werden. Elektrischen Strom hatte Weferlingen damals bereits, im Ort gab es aber weder Wasser- noch Abwasserleitung. Aus der Gemeindevertretersitzung vom 17. September 1921 wird nämlich im Weferlinger Anzeiger berichtet, dass die Wasserverhältnisse im Ort eine Wasserleitung notwendig erscheinen lassen, und dass eine solche auch nutzbringend sein würde für die günstige Entwicklung des Ortes.

„Nach längerer Aussprache, besonders über die Kalkhaltigkeit und Enthärtung des Wassers, wurde beschlossen, für die Erforschung von Wasser bis zu 5000 Mark zur Verfügung zu stellen“, schrieb der Anzeiger. Ein Quellensucher und Wasserbaufachmann solle nach ergiebigen unterirdischen Wasserläufen suchen. Man gehe davon aus, dass eine zu erbauende Wasserleitung mindestens 10000 Einwohner versorgen und dass zugleich eine Kanalisation hergestellt werden müsse, hieß es. Daneben sollen aber die notwendigen Ausbesserungsarbeiten an den Brunnen nicht vernachlässigt werden.

Im Jahresbericht der Baugenossenschaft für 1920 war zu lesen, dass es Ende des Jahres bereits 83 Mitglieder gab. Die Anteile beliefen sich auf 32000 Mark, die Haftsumme auf 80500 Mark. Berichtet wurde im Weferlinger Anzeiger weiter in Kurzfassung: „Verschiedene Reisen und Besprechungen der Vorstandsmitglieder mit Ministerien und der Regierung fanden statt. Anschluss an die Mitteldeutsche Heimstätte mit 1000 Mark Anteilsumme, Ankauf von 18 ½ Morgen Land am Hagholz für 47504 Mark, Bewilligung einer Hypothek darauf von 35000 Mark wurden beschlossen. Besichtigung des Geländes, Entwurf und Bestellung des Bebauungsplans für Hagholzgelände, Erhalt von 100000 Mark Reichsdarlehen mit 75000 Mark Vorschuss, Verhandlungen wegen Zuteilung von 200 Festmeter Bauholz und Bewilligung desselben in Klötze sprachen für erfolgreiche Tätigkeit.“

Mehr erfuhren die Leser des Weferlinger Anzeigers einen Monat später, am 18. März 1921: „Heute kann uns berichtet werden, dass das gekaufte Hagholzbauland von rund 18 Morgen Größe parzelliert, jede Parzelle mit Nummern bezeichnet ist und nunmehr von den Baulustigen besichtigt werden kann. Die Verkaufs- bzw. Verpachtungsbedingungen sind auch aufgestellt und können beim Mitglied Liebert an jedem Nachmittag von 2 – 7 Uhr eingesehen werden. Das ganze Gelände wird nunmehr in einzelnen Parzellen am Mittwoch, dem 23. März, nachmittags 6 Uhr unter den Genossen ohne Gewinnaufschlag verkauft bzw. verpachtet werden.“

Es empfehle sich daher für alle Interessenten, das Land vorher zu besichtigen und dann zum Verkaufstermin zu erscheinen. Binnen kurzer Zeit werde das Gelände „siedlungsreif“ sein. „Reges Leben der Siedler beginnt mit Garten- und Bauarbeit auf dem Gelände.“

Gebaut wurde damals ebenso an anderen Straßen in Weferlingen. Auch auf dem von einzelnen Genossen gekauften Kirchenacker auf dem Höhberg sei vom dunstigen Frühmorgen bis zum dunkelnden Abend hinein emsige Bautätigkeit zu beobachten, berichtete der Anzeiger. „Dem Kalkfelsen wird kräftig zu Leibe gegangen, Bruch- und Ziegelsteine, Sand, Kalk sind angefahren. Neben dem bereits erstandenen, gediegenen Häuschen sind die Grundmauern zu einem neuen fertig. Weitere Siedler werden nun bald unter genossenschaftlicher Hilfe und mit behördlichen Mitteln unterstützt, ein Eigenhaus auf eigener Scholle erwerben.“

Im Juni 1921 wird über eine außerordentliche Generalversammlung der Baugenossenschaft Weferlingen berichtet: „Im Rohbau fertige Häuser müssen der Polizei hier zwecks Abnahme sofort von den Bauherren gemeldet werden. Von der Regierung sind für dieses Jahr wiederum Baudarlehen bewilligt worden und zwar für 13 Wohnungen. Im vorigen Jahr waren es 2 Doppelhäuser und 4 Einfamilienhäuser = 8 Wohnungen. Damit hat die Genossenschaft die Grundlagen für den Bau von 21 Wohnungen mit Gartenland geschaffen, ein Werk, das nur dank der Mitarbeit der dazu berufenen Kreise geschehen konnte.“

Der Anzeiger teilte ebenfalls mit, es hätten sich „für 1922 bereits wieder Mitglieder gemeldet, die alles daran setzen werden, ein Eigenheim zu erwerben.“ Bis heute ist die Siedlung, die direkt an das Hagholz grenzt, eine überaus beliebte Wohngegend. Bis heute wird dort gebaut.

Die Ernst-Thälmann-Straße hieß ursprünglich Bismarckstraße und wurde Mitte der 1940er Jahre umbenannt, die Breitscheid-Straße wurde anfangs Schlageterweg genannt, auch sie erhielt nach dem Zweiten Weltkrieg einen neuen Namen. So hatte es Paul Liebert im Weferlinger Straßenverzeichnis notiert, das er in den 1960er Jahren erstellt hatte. Liebert hatte sowohl Wissenswertes zu den einzelnen Straßen aufgeschrieben als auch die Eigentümer der Grundstücke, soweit das möglich war. Und in der Baugenossenschaft war er von Anfang an als ein Vorstandsmitglied mit dabei. Gebaut wurde an der heutigen Thälmann- und Breitscheidstraße von 1921 bis 1933, schrieb er. Da es aber immer noch freie Bauplätze gab, sind auch nach der Wende in dieser Siedlung noch viele Häuser entstanden. Gebaut wird bis heute.

Der Schäferberg, eine weitere Parallelstraße zur Thälmann- und Breitscheidstraße, wurde übrigens 1938 zur Besiedelung vorgesehen. Bebaut wurde dieser Straßenzug „von der Mitteldeutschen Heimstätte Magdeburg mit einstöckigen kleinen Siedlungshäusern, als Doppelhaus für 2 Familien für etwa 6500 Dmk. mit 300 Quadratmeter Gartenland“, heißt es im Straßenverzeichnis von Paul Liebert. Hierbei handelt es sich um die frühere Schafweide, die zum Gut gehört hat. Auch diese Straße grenzt an das Hagholz.

Quelle: Volksstimme, erstellt von M.B.